Wettbewerbsbeitrag 2015: Helga Hufflepuff

Zwischen meinen Freunden schlendere ich durch Hogsmeade, wir sind auf dem Weg vom Gasthaus, der toten Wildsau, zu unserem kleinen Häuschen, das auf dem Grundstück steht, auf dem wir auch eine Schule für Zauberer und Hexen errichten wollen. Die Meinung dazu ist natürlich zweigeteilt, die einen sind froh, dass ihre Kinder eine allgemeine Ausbildung bekommen sollen, doch anderen stößt es quer, dass auch die Kinder von Muggeln, die mit magischem Potential gesegnet sind, aufgenommen werden sollen, um sie vor dem Scheiterhaufen zu retten, oder, dass Knaben und junge Damen gemeinsam unterrichtet werden sollen. Immerhin gilt, dass sich die Frau um Haushalt und Familie kümmern soll, während der Mann für das Einkommen sorgt. Doch Rowena und ich stimmen in diesem Fall mit Sal und Godric überein, dass auch Frauen sich und ihre Kinder verteidigen können müssen. Und es schadet keinem Mann, zu wissen, wie man ein Feuer entzündet oder einen Heilzauber wirkt.
Neben mir geht Godric, ein junger silberblonder Mann, dessen Haar in der momentanigen Mode der Muggel geschnitten ist. Sein Vater ist illigitimer Spross einer französichen Zaubererfamilie, doch weil er von dem Erbe sowiso nichts abbekommen würde, war der nach England gezogen und hatte geheiratet. Seinen Namen, irgendetwas mit M, hatte er abgelegt und – ganz untypisch – den Namen seiner Frau angenommen, ebenso das Wappen. So ist Godric jetzt ein Gryffindor, mit dem Löwenmut. Sein schwarzer Umhang ist rot verbrämt und auch das Innenfutter der Kapuze, die auf seinem Rücken liegt, ist rubinrot. Anstelle seines Wappens hat er sich jedoch für eine vereinfachte Variante des alten Wappens seines Vaters entschienden, eine goldene, französische Lilienblume. Sein Schwert trägt er an seiner Seite, das deutliche Zeichen eines Kriegers, in der Schwertkunst ebenso wie in der Magie.
Hinter ihm geht meine beste Freundin, Rowena, trotz ihrer inzwischen fünfundzwanzig Jahre noch nicht verheiratet. Ihr dunkelblauer Mantel ist feiner geschnitten, als der von Godric und sie ist auch ein ganzes Stück kleiner als er. Ihr dunkelbraues Haar, das ihr sonst in langen Locken über den Rücken fällt, ist noch immer hochgesteckt und unter einer Haube verborgen. Sie und Godric waren wieder einmal in einem der Muggeldörfer in der näheren Umgebung gewesen. Die Kirche hatte erneut eine Kinderhexe gefangen und auf den Scheiterhaufen geführt, ein kleines Mädchen, keine acht Jahre alt. Wena und Godric waren zu spät gewesen. An einer bronzenen Kette baumelt das alte Symbol der Heiler, die ausgestreckte Hand. Daneben ein Adler, das Wappentier ihrer Familie.
Neben meiner Feundin geht der vierte in unserem Bunde, Salazar Slytherin, ein eher klein gewachsener Mann, schlank und ungeheuer mächtig, was seine Magie anbelangte. Seine langen schwarzen Haare hängen glatt über seinen Rücken, bilden nahezu keinen Kontrast zu dem dunkelgrünen Umhang in der Dämmerung. “Helga?”, spricht er mich nun an und tritt einen Schritt näher an mich, löst somit Godric ab, der automatisch seine Stellung neben Rowena bezieht. “Ich brauche noch einige Pflanzen. Morgen wäre gut, dann kann ich sie gleich verarbeiten. Abends ist dann auch dein Trank fertig.” Ich nicke. “Wena?”, drehe ich mich um, spreche um einiges lauter als Salazar, dessen Worte nur mir galten. “Es tut mir leid, aber… ihr beide müsst morgen noch einmal gehen. Dafür übernehmen Sal und ich die nächste Woche.” Es geht darum, wer die Wachen an den Hexenfeuern übernahm, im Allgemeinen eine sehr undankbare Aufgabe, die wir nie alleine erledigten.
“Warum habe ich ‘Salira’ eigentlich noch nie zu Gesicht bekommen?”, will dann die Brünette wissen. Sal lacht. “Du bist kleiner als ich, da gehe ich als dein Mann durch. Helga ist etwas größer als ich, und da ist es unauffälliger, wenn ich als Frau unterwegs bin. Und zwei Männer, die über den Markt flanieren, das gibt es nicht, jedenfalls nicht bei den Muggeln. Also bin ich Godric’s Frau Salira.” Ich brauche morgen Sal’s Hilfe. Ansonsten wäre der Trank futsch, mit dessen Hilfe ich schon so vielen Kindern das Leben gerettet hatte.
Plötzlich schreit Rowena hinter mir schrill auf. Ich war bislang in meine eigenen Gedanken vertieft. Godric zieht sein Schwert, Salazar und ich unsere Zaberstäbe. “Was?”, will ich wissen. Rowena deutet an mir vorbei und ich sehe ihn, den Inferi. Ein Junge im Pagenalter, etwa zehn. In ein oder zwei Jahren hätte sich seiner eine der hohen Familien angenommen, wenn er Glück hätte. Ein Kind von den vielen, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt sind. Der Körper ist verkohlt und halb verwest, ich erkenne das Stadium als eine Leiche von vor zwei Wochen.
Rowena greift nach meiner Schulter. “Wir müssen hier weg!” Der Junge war ein weiteres Kind gewesen, bei dem wir zu spät kamen. Oder eher der Henker zu früh. Ich kann jetzt hier nicht weg und sehe zu Sal. Er nickt und zwischen ihm und mir erschien eine Barriere, die mich mit dem Inferi einsperrt. Entsetzt hörte ich Wena aufkreischen und Godric fuhr seinen Freund an: “Was soll das? Willst du sie umbringen?” Ich ignoriere meine Freunde, so weit es möglich ist und gehe einige Schritte auf den Jungen zu. Ich halte ihm meine Hand hin, die er ergreift. “Es tat weeeh”, kommt es schleppend über seine Lippen. “Aber jetzt nicht meeehr. Daaanke, Lady.” Sanft lächele ich ihn an. Natürlich tut es nicht mehr weh, er ist ja auch tot.
“Komm mit”, sage ich zu ihm und gehe mit ihm zu dem kleinen Friedhof von Hogsmeade, meine Freunde, wohl eher Salazar, folgen uns. Ich sehe mich nicht um, sondern konzentriere mich auf den untoten Jungen an meiner Hand. Mit einer Bewegung meins Zauberstabes hebe ich ein Grab aus und verändere einen der hier herumliegenden Kiesel zu einem Grabstein. “Wie heißt du?”, will ich wissen. “Riichard”, kommt es leise als Antwort. Ich sorge dafür, dass eine Grabinschrift erscheint.
‘Richard, ein Feuerkind. Er wäre einer von uns gewesen.’
Ich lasse ein kleines Bett erscheinen in dem Grab und deute darauf. “Es ist okay, Richard. Du kannst jetzt schlafen.” Entgegen meiner Anweisung legt er sich nicht sofort hin, er sieht mich an und schüttelt den Kopf. “Ich werde niiie wiiieder aufwaaaachen, ooooder?”, will er wissen. Ich nicke. “Daaann muss ich noch eeeetwas saaaaagen. Meine Schwester… Eliii…za…beeth… wie… ich… Hiiilfeee…” Seine Stimme schläft ein und ich nicke. “Wir werden sie retten. Versprochen.” Dann deute ich erneut auf das Bett und er legt sich hin. Kurz schließe ich die Augen, dass meine Freunde, eher Godric und Wena – Sal weiß es ja – nichts von meinen weißen Augen sehen. Ich spüre, wie sie aufblitzen. Nur ganz kurz. Dann reiht sich Richards Seele zu den anderen der Feuerkinder, bei denen ich zu spät war. Kurz sehe ich eine große Wiese aufblitzen. Viele Kinder, Knaben und Mädchen aus allen Gesellschaftsschichten, spielen auf einer großen Wiese. Lachend, glücklich. Ein lautes Wuschen reißt mich zurück. Sal hat die Erde auf das Grab gleiten lassen.
“Richard also.” Ich nicke. “Wir müssen uns um seine Schwester kümmern.”
Dann appariere ich in unser kleines Häuschen. Heute Abend habe ich keine Lust mehr darauf, ausgefragt zu werden. Denn im Gegenzug zu Sal, der sich auch schon mit der Materie befasst hat, auch, wenn er den letzten Schritt noch nicht gegangen ist, würden mich Wena und Godric dafür verurteilen. Dafür, was ich war. Eine Nekromantin, mehr noch, eine Seelensammlerin. Ein SoulGatherer.

 

Helga Hufflepuff